Der Bildhauer Richard Anders erarbeitete sich gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen deutschlandweiten Ruf als bedeutender Künstler. Zu seinen Arbeiten gehören das Reiterdenkmal zu Ehren von Kaiser Wilhelm I. in Köln und das Reiterdenkmal Mars la Tour in Quedlinburg. Beide Kunstwerke wurden in den 1940er Jahren zerstört. Mit seinen Werken verschwand auch Richard Anders aus dem öffentlichen Gedächtnis. Das möchte der Regionalhistoriker Hasso Storbeck ändern. Wir haben uns mit ihm in unserem Hotel Domschatz unterhalten. Für das Gespräch konnte es keinen besseren Ort geben: In diesem Haus wurde Richard Anders 1853 geboren.
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Jeden Tag laufen Einheimische und Touristen am GutsMuths-Denkmal in Quedlinburg vorbei. Nur die wenigsten wissen, dass das Kunstwerk von Richard Anders erschaffen wurde. Das Denkmal für den Reformpädagogen und Mitbegründer der Turnbewegung Johann Christoph Friedrich GutsMuths gehört zu den wenigen Werken des Bildhauers Anders, die erhalten geblieben sind. Dass der Quedlinburger Künstler von vielen vergessen wurde, ärgert den Regionalhistoriker Hasso Storbeck: »Wenn man sich in Quedlinburg umhört, dann können viele mit dem Namen Richard Anders nichts anfangen. Wir haben als Quedlinburger vielleicht selbst Schuld, dass wir einen berühmten Bürger unserer Stadt vergessen haben.«
Hasso Storbeck geht auf die Suche nach Richard Anders
Storbeck ist waschechter Quedlinburger und wie er selbst sagt »in der Stadt bekannt wie ein bunter Hund«. Als Kind hat ihm sein Großvater Geschichten vom Schützenfest im August erzählt, vom Rummel auf dem Kleers und dem Viehmarkt. Die Begeisterung für die Vergangenheit rührt nicht zuletzt von seinen Kindheitserinnerungen. Seit Beginn der 1990er Jahre beschäftigt er sich intensiv mit der Geschichte von Quedlinburg und hat zwei Bücher zum Thema veröffentlicht. Er ist, was man ein Quedlinburger Original nennen würde. Ihm liegt es am Herzen, den Bildhauer Richard Anders in das öffentliche Gedächtnis zurückzurufen.
Storbeck verfolgt über viele Jahre die Spur des Bildhauers Anders. Er stöbert in Archiven, liest Dokumente und schreibt viele Briefe. Mit Erfolg. Storbeck kommt mit den Nachkommen von Richard Anders in Kontakt. Damit hat er Zugang zu vielen Fotos und Dokumenten, die sonst in einer Privatsammlung verschwunden wären. Sein größter Schatz ist eine Abschrift des Tagebuchs von Richard Anders. Es ist ein unschätzbares Zeitdokument und erlaubt tiefe Einblicke in das Seelenleben des Bildhauers.
Geburt und Kindheit
Richard Leopold Oskar Anders kommt an einem Wintertag am 10. Februar 1853 im Haus mit der Adresse »Vor der Kunst 169« zur Welt. Später bekommt die Straße den Namen »Mühlenstraße«. Das Haus wird viele Jahre später als Hotel Domschatz den Besuchern der Stadt Quedlinburg ein Zuhause bieten.
Der Vater von Richard hat sich aus einfachen Verhältnissen nach oben gearbeitet. Er stammt aus Schlesien und betreibt in der »Kunst 169« eine Färberei. Quedlinburg besitzt zu dieser Zeit eine bedeutende Tuchmacherindustrie, die für eine große Nachfrage nach hochwertig gefärbten Stoffen sorgt.
Eigentlich soll auch Richard Anders in die Fußstapfen des Vaters treten. Aber der junge Richard hat anderes im Sinn. Seine Mutter ist eine leidenschaftliche Malerin. Offenbar überträgt sich die Begeisterung für das künstlerische Schaffen von der Mutter auf den Sohn.
Anders geht nach Berlin
Richard Anders zieht nach seiner Zeit am Gymnasium nach Berlin, um dort beim Holzbildhauer Alberty in die Lehre zu gehen. Es ist üblich zu dieser Zeit, sein Handwerk von der Pike auf zu lernen.
Ab 1871 studiert Anders an der Berliner Kunstakademie, an die er später als Professor berufen wird. Danach arbeitet er für mehrere Jahre im Atelier des Bildhauers Emil Hundrieser. Diese Zeit gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit zur einflussreichsten für die Bildhauerkarriere von Richard Anders. Er weiß, dass er seinem Lehrer viel zu verdanken hat. Hundrieser zählte zur Berliner Bildhauerschule, die für ihren realistischen Stil bekannt ist. Zu ihr gehören große Künstlernamen wie Schadow, Begas und Rauch.
Zeit des aufziehenden Wilhelmismus
Die Zeit, in der Richard Anders seine Karriere beginnt, gehört aus heutiger Perspektive zu einer der einflussreichsten der deutschen Geschichte. Knapp fünf Jahre vor der Geburt von Anders wird in der gescheiterten Märzrevolution von 1848/49 die liberale Hoffnung des Bürgertums nach Demokratie, nationaler Einheit und Unabhängigkeit zunichte gemacht. Es sind preußische und österreichische Kanonensalven, die den Ruf nach Freiheit ersticken. Damit ist der Weg für den neuerlichen Aufstieg des angezählten preußischen Herrscherhauses geebnet, der im Jahr 1871 mit dem Sieg über die Franzosen zur Ausrufung des Deutschen Kaiserreichs führt.
In Berlin herrscht nach dem historischen Sieg über den französischen Erzrivalen eine triumphale Atmosphäre. Preußen ist wieder eine feste Größe im europäischen Machtkonzert. Dieses Gefühl hält für viele Jahre an und wird in seiner übersteigerten Form ab 1890 zum ideellen Kern des Wilhelmismus.
Richard Anders erhält einen lukrativen Auftrag
Welche Einstellung Richard Anders zu den gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit hat, lässt sich an biografischen Eckpunkten festmachen. Anders ist Mitglied im Corps Borussia Berlin, einer Studentenverbindung, der traditionell viele Künstler angehören. Die Verbindung steht in persönlichem Kontakt zu Wilhelm I., der 1871 in Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen wird. Es ist ein Umstand, der bei der Suche nach potentiellen Auftraggebern aus der vermögenden Oberschicht sicherlich nicht hinderlich ist.
Im Jahr 1891 bekommt Anders den Auftrag für das Kaiser-Wilhelm-I.-Denkmal in Köln. Mit 36 von 44 möglichen Stimmen des Wahlkomitees setzt er sich gegen die übrigen Mitbewerber durch. Kaiser Wilhelm II. gibt persönlich im Jahr 1897 das Zeichen zur Enthüllung. Ohne Frage trifft Anders mit dem Denkmal den Zeitgeist des Wilhelmismus, und damit den Nerv des Kaisers. Es zeigt dessen Großvater Wilhelm I. in herrschaftlicher Reiterpose. Das knapp 10 Meter hohe Werk ist ein Beispiel für den monumentalen und gleichzeitig dekorativen Stil der Berliner Bildhauerschule in der Tradition von Reinhold Begas, von dem der Anders-Lehrer Emil Hundrieser maßgeblich beeinflusst wird. Dem Reiterdenkmal ist der Wunsch nach repräsentativer Außenwirkung deutlich anzumerken. Die Figuren, die am Fuße der Reiterfigur zu sehen sind und der aufwendige Sockelschmuck geben eine Vorstellung davon, warum dieser Zweig der Berliner Bildhauerschule mit dem Neobarock in Verbindung gebracht wird. Dem Denkmal ist eine vergleichsweise kurze Lebensdauer beschieden. Im Jahr 1943 wird es eingeschmolzen.
Die Quedlinburger geben an Richard Anders den Auftrag für ein Reiterdenkmal
Ein ähnliches Schicksal ereilt das Reiterdenkmal in Quedlinburg. Bei den Einwohnern in- und außerhalb der Stadt ist der Wunsch gereift, ein Denkmal für die Gefallenen der Schlacht bei Königgrätz von 1866 und des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71 zu errichten. Der Auftrag ist wie maßgeschneidert für den gebürtigen Quedlinburger Richard Anders, der seit 1886 sein eigenes Atelier in Berlin besitzt. Nachdem der Magistrat sich für einen Entwurf des Bildhauers entschieden hat, werden die Bürger am 30. September 1890 in einer Spendenaktion zur Finanzierung des Denkmals aufgerufen.
Warum sollen sich ausgerechnet die Bürger an den Kosten beteiligen? Diese Frage kann der Regionalhistoriker Hasso Storbeck beantworten: »Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 liegen in Quedlinburg das 7. Kürassier-Regiment und das Füsilier-Bataillon des 67. Infanterie-Regiments in Garnison. Bei der furchtbaren Reiterattacke gegen französische Kanonen am 16. August 1870 bei Mars la Tour erleiden eben jene Kürassiere und Füsiliere große Verluste. Bislang wurden Reiterdenkmale nur für hohe Persönlichkeiten errichtet. Hier soll den Soldaten der Infanterie und der Reiterei gedacht werden.«
Offenbar wollen die couragierten Quedlinburger ein deutliches Zeichen der Erinnerung setzen, aber nicht für irgendeinen Feldherren. Es soll denen gewidmet sein, die in den beiden Kriegen den höchsten Preis bezahlen mussten, mit der einzigen Währung, die sie besaßen: ihr Leben. Ob Fußsoldaten, die sogenannten Infanteristen, oder die Reiter, die sogenannten Kürassiere: Das Denkmal, das den Beinamen Mars la Tour bekommt, soll ein Ort des Gedenkens sein, für die vielen Menschen, die ihr Leben gelassen haben.
Feierliche Einweihung
Die feierliche Einweihung wird am 27. Oktober 1895 in der Bahnhofsstraße vollzogen. Unter den Zuschauern sind viele Quedlinburger und Angehörige der Gefallenen. Das Reiterdenkmal hat insgesamt eine stattliche Höhe von knapp acht Meter. Das Vorbild für die Reiterfigur ist der Kürassier Wilhelm Rahmsdorf, der Standartenträger des 7. Kürassier-Regiments beim sogenannten »Todesritt von Mars la Tour«. Die Bronzefigur steht auf einem Sockel aus Innsbrucker Granit. An den Seiten sind Reliefplatten angebracht. Hinter dem Denkmal werden Tafeln mit den Namen der gefallenen Soldaten aufgestellt.
Im Jahr 1942 werden zuerst die Reliefplatten, Adler, Kränze, Ketten und die Namenstafeln entfernt. Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1946, wird auf Anweisung das verbliebene Reiterdenkmal abgebaut. Die Bronzefigur wird kurzerhand eingeschmolzen. Damit ist das Reiterdenkmal Mars la Tour in Quedlinburg Geschichte. Ist es völlig verschwunden? Nein. Wie durch ein Wunder überdauern die Gipsabdrücke der Seitentafeln die Jahrzehnte. Sie werden von einem Steinmetz in einem Wandversteck seiner Werkstatt aufbewahrt. Woher wir das wissen? Der Regionalhistoriker Hasso Storbeck bekam einen Tipp und konnte die Gipsadrücke rechtzeitig in Sicherheit bringen. Ebenfalls noch vorhanden sind einige Steinplatten vom ehemaligen Granitsockel und die Standarte der Reiterfigur.
Weitere Arbeiten von Richard Anders
Dass von Richard Anders neben seinen vielbeachteten Reiterdenkmälern in Köln und Quedlinburg auch viele kleinere Arbeiten stammen, geht oft unter. Dazu gehört das Denkmal für den Afrikaforscher Gustav Nachtigal in Stendal. Auch in seiner Geburtsstadt Quedlinburg existieren bis heute mehrere Arbeiten, zu denen das bereits erwähnte Denkmal für Johann Christoph Friedrich GutsMuths zu zählen ist. In Erinnerung an den ehemaligen Quedlinburger Bürgermeister Dr. Gustav Brecht schuf Anders eine Reliefplatte, die in der Nähe des heutigen Wasserwerks zu sehen ist. Dem Saatzuchtunternehmer Gustav Adolf Dippe ist eine dreiteilige Arbeit gewidmet. In der Mitte ist eine Büste aufgestellt, die von zwei Reliefplatten flankiert ist. Ebenfalls erhalten ist der Gedenkstein auf dem Quedlinburger Marktkirchhof, den der Bildhauer für seine Eltern schuf. Es ist durchaus möglich, dass es weitere Arbeiten von Richard Anders gibt, die jedoch entfernt wurden, wie das Germania-Denkmal in Derenburg von 1906.
Was von Richard Anders bleibt, ist die Erkenntnis, dass er angesichts seines beeindruckenden Schaffens zu Unrecht im Dunkel der Vergangenheit verschwunden ist. Für den Regionalhistoriker Hasso Storbeck steht fest: »Es wird Zeit, dass wir uns als Quedlinburger an den Bildhauer Richard Anders erinnern und ihm einen Platz in unseren Geschichtsbüchern einräumen, der ihm angemessen ist.«
Anmerkung: Wir möchten uns bei Hasso Storbeck für die sehr angenehme Zusammenarbeit bedanken.
Fotos: Verwendung mit freundlicher Genehmigung von Hasso Storbeck