Wilhelm Steuerwaldt – Das Comeback eines romantischen Harzmalers

Unser Haus kann zurecht als Künstlerhaus bezeichnet werden: Ab 1867 verbrachte hier der Quedlinburger Maler Wilhelm Steuerwaldt mit seiner Familie mehrere Lebensjahre. Steuerwaldt eroberte mit seinen romantischen Werken bereits zu Lebzeiten die Herzen des Publikums. Seine bekannteste Arbeit zeigt den Blick durch eine gotische Vorhalle auf die Klosterruine Heisterbach in einer verschneiten Winterlandschaft. Ein Gemälde mit diesem Bildmotiv schaffte es bis in den Louvre und ist bis heute in Paris im Musée d’Orsay zu sehen. Steuerwaldts Aufstieg folgte ein tiefer Fall. Nach seinem Tod legte sich ein dunkler Schleier auf sein künstlerisches Vermächtnis. Noch bis vor Kurzem stand er im Schatten seines Lehrers Hasenpflug, der selbst bei Kunstkennern als geistiger Vater des bekannten Vorhalle-Ruine-Motivs galt. Mit diesen verklärten Vorstellungen räumt der Steuerwaldt-Experte Heiko Günther auf. Mit seinem Buch »Wilhelm Steuerwaldt – Auf den Spuren eines romantischen Harzmalers« leistet er Pionierarbeit und legt die erste umfassende Biografie zum Leben und Werk des Quedlinburger Malers vor. Wir haben uns mit Heiko Günther in unserem Hotel Domschatz getroffen.

Wilhelm Steuerwaldt

Wilhelm Steuerwaldt,
Foto: Porträt, Standort Klopstockhaus, fotografiert von Heiko Günther, Mit freundlicher Genehmigung des Schlossmuseums Quedlinburg.

Es ist das Jahr 1834. Auf der vierten Halberstädter Kunstausstellung debütiert ein junger Maler aus Quedlinburg mit fünf Gemälden. Darunter ist ein Werk mit dem Titel »Blick aus Torbogen auf Burg Falkenstein«. Es zeigt eine halb ausgeleuchtete mittelalterliche Vorhalle mit einem massiven Torbogen im Vordergrund, durch die der Blick auf die Burg Falkenstein freigegeben wird, die hoch über dem Selketal auf einem Felsen bei Quedlinburg trohnt. Unter den Augen des Rittergutsbesitzers von Spiegel sowie des Apothekers Lucanus, die als Halberstädter Mäzene der Ausstellung vorstehen, beginnt die Karriere eines Mannes, dessen Name mit eben jener Bildkomposition schicksalhaft verbunden sein wird: Wilhelm Steuerwaldt.

Zeitsprung in die Gegenwart. Im Jahr 2002 entdeckt Heiko Günther beim Blättern in einem Ausstellungskatalog zum Werk des Steuerwaldt-Lehrers Carl Hasenpflug verschiedene Bilder, die eine Vorhalle mit einer Burgruine in einer Winterlandschaft zeigen. Bei einem Besuch im Quedlinburger Klopstockhaus sieht Heiko Günther, der sich für mittelalterliche Burgen und Schlösser begeistert, das gleiche Motiv auf einem ausgestellten Gemälde. Beim Blick auf die Bildbeschreibung stellt er erstaunt fest, dass die Arbeit von Wilhelm Steuerwaldt stammt. Der Name sagt ihm zunächst nicht viel. Bei ersten Nachforschungen stellt Günther fest, dass die Informationen über den Quedlinburger Maler dürftig sind. Angeregt durch die persönliche Bitte von Dr. Antje Ziehr, Mitautorin des Ausstellungskatalogs zum Werk Hasenpflugs, beginnt Heiko Günther mit der Recherche zu seinem späteren Buch.

Heiko Günther hat den Felsen gefunden, auf dem er sein Buch errichten kann

Das Leben von Wilhelm Steuerwaldt zu erforschen, ist mit einer Detektivarbeit vergleichbar. Heiko Günther, im Hauptberuf Polizeibeamter, hat darin einige Übung. Er beginnt mit dem Quedlinburger Kirchenarchiv, um die Lebensdaten des Künstlers zu erfahren. Er durchforstet Bibliotheken und informiert sich bei Auktionshäusern. Es ist eine langwierige Angelegenheit, wie das Malen eines Bildes.

Längst ist die Erinnerung an Steuerwaldt verblasst. Seine Werke sind verstreut in Deutschland und Europa, befinden sich in Museen oder Privatsammlungen. Niemand weiß wieviele Werke es sind, es gibt keinen genauen Überblick. Günther stößt auf ein Buch des Quedlinburgers Johannes Spitzmann mit dem Titel »Der Harz in der Malerei der Romantik« aus dem Jahr 1934. Ein paar Seiten widmet Spitzmann dem Maler Steuerwaldt. Zu wenig, um ein umfassendes Bild über das Leben des Malers zu bekommen. Genug, um mit der eigentlichen Recherche zu beginnen: Heiko Günther hat den Felsen gefunden, auf dem er sein Buch errichten kann.

Kindheit und Ausbildung

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Gemälde von Wilhelm Steuerwaldt

Steuerwaldt wird am 1. September 1815 im Quedlinburger Finkenherd geboren. Die Entbindung findet zu Hause statt. Zu dieser Zeit ist es üblich, dass eine Innenraumtür ausgehängt wird, auf der die Schwangere das Kind zur Welt bringt. Der Vater ist Strumpfwebermeister, wie dessen Vater zuvor. Später verdient er seinen Lebensunterhalt als Zeichenlehrer und als Verwalter der Kirchenkassen. Von der Mutter ist nur der Name Margaretha Elisabeth bekannt. Sie stirbt sieben Jahre nach der Geburt. Auch ohne genau zu wissen, wie sehr dieses Ereignis Steuerwaldt belastet hat: Der Verlust der Mutter zählt zu den einschneidenden Erlebnissen im Leben eines jeden Menschen.

Die Begeisterung für das Zeichnen übernimmt der junge Wilhelm vom Vater. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er regelmäßig einen Blick in die Zeichenmappe wirft, mit Arbeiten des Vaters und anderer Künstler. Die Kupferstiche, Lithografien und Deckfarbenblätter zeigen Landschaften sowie Architekturabbildungen von Burgen und Schlössern der heimatlichen Gegend. Es liegt nahe, dass der Junge in den Momenten der Versenkung über den Bildern nachhaltig inspiriert wurde.

Der fünfzehnjährige Wilhelm beginnt im Jahre 1830 eine Ausbildung beim Halberstädter Maler Georg Carl Adolph Hasenpflug. Es entsteht eine Freundschaft, die bis zum Tode des Lehrers anhalten wird und das Leben von Steuerwaldt maßgeblich beeinflusst. Der Lehrling bekommt eine Ausbildung als Zeichner und Korrektor. Auch die Lithografietechnik steht auf dem Stundenplan. So ergänzt Steuerwaldt in einer lithografischen Abbildung des Halberstädter Domplatzes Seitenteile der Kirche und Gebäude.

Es wäre eine kleine Sensation: Hat Steuerwaldt zuerst diese Bildkomposition gemalt?

Mit Sicherheit kannte Steuerwaldt das von Hasenpflug 1827 gemalte Bild »Romanische Kirchenruine im Winter«. Der Anblick des Werkes könnte als Inspiration gedient haben, die Steuerwaldt in zwei Bildern während seines ersten Lehrjahres verarbeitet hat. Schon die Titel lassen aufhorchen: »Blick aus Gewölbe auf Kirchenruine« und »Romanische Halle mit Blick auf Kirchenruine im Harz«. Spätestens hier wird es interessant: War Steuerwaldt der erste von beiden, der diese Bildkomposition gemalt hat? Das wäre eine kleine Sensation, galt doch bislang Hasenpflug als Urheber.

Genau das ist die Vermutung von Heiko Günther, der seine These griffig auf den Punkt bringt: »Steuerwaldt ist der geistige Vater und Hasenpflug der Geburtshelfer.«

Günther liefert dafür eine schlüssige Argumentation. Von Hasenpflug sind Bilder mit ähnlichen Motiven erst ab 1836 nachweisbar. Während Steuerwaldt fleißig an seiner genialen Idee arbeitet, ist Hasenpflug noch mit der Abbildung von Domen beschäftigt.

Studium an der Düsseldorfer Akademie

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Wilhelm Steuerwaldt: Bleistiftzeichnung der Burg Falkenstein

Seinem Lehrmeister hat Steuerwaldt es zu verdanken, dass er im Jahre 1833 ein Studium an der Düsseldorfer Akademie aufnehmen kann. Während seines Besuchs in Düsseldorf bei seinem Studienfreund Carl Friedrich Lessing, den er noch aus der gemeinsamen Zeit an der Berliner Akadamie kennt, setzt sich Hasenpflug für seinen Lehrling ein. Er trifft ebenfalls den Direktor der Düsseldorfer Akademie Friedrich Wilhelm von Schadow und besiegelt damit den Umzug seines Lehrlings Steuerwaldt von Quedlinburg in die Rhein-Metropole. Mit Lessing und von Schadow zeigt Hasenpflug, dass er über eine große Portion »Vitamin B« verfügt: Die beiden Künstler gelten als die Begründer der bekannten Düsseldorfer Malschule.

Steuerwaldt profitiert künstlerisch von der Ausbildung an der angesehenen Einrichtung. Auch wenn für ihn die Anfangszeit eher schwierig ist. In der Schülerakte ist vermerkt: »Begabung: wenig. Kommentar: Könnte mit der Zeit was werden«. Steuerwaldt weiß, dass er Landschaftsmaler werden will. Portrait- und Historienmalerei, die ebenfalls zum Studienprogramm gehören, sind nicht seine Stärke. Trotzdem beißt er sich durch und liefert mit dem Ölgemälde »Kirchenbesucher vor einem Kirchenportal« eine passable Portraitarbeit ab.

Sein Lehrer an der Düsseldorfer Akademie ist Johann Wilhelm Schirmer. Er ist einer der führenden Köpfe der Landschaftsmalerei an der Akademie. Sein Einfluss auf Steuerwaldt tritt immer deutlicher zu Tage. Von Schirmer übernimmt Steuerwaldt den Bildaufbau von Vorder-Mittel-Hintergrund. Auch die vom Studienlehrer verschmähten grünen Blätter in den Baumspitzen bei blauem Himmel werden von Steuerwaldt gewissenhaft gemieden. Sogar das Monogramm übernimmt der Quedlinburger von Schirmer, in leicht abgewandelter Form.

Steuerwaldt verlässt die Akademie offenbar vor dem regulären Ende der Studienzeit. Die Gründe dafür gehen aus den bislang bekannten Unterlagen nicht hervor. Überliefert ist seine Abgangsbescheinigung vom 14. April 1836:

»Wilhelm Steuerwaldt aus Quedlinburg, Schüler der Akademie in der Klaße der Landschaftsmaler, erhält hiermit die Bescheinigung: daß sein Fleiß und sein Betragen lobenswerth und seinen Vorhaben auf einige Zeit zum Behuf des landschaftkichen Naturstudiums nach den Gegenden des Harzes zu reisen, seitens der Anstalt kein Hinderniß im Wege stehen.«

Steuerwaldt kehrt nach Quedlinburg zurück

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Wilhelm Steuerwaldt: Bodetal. Im Besitz von Heiko Günther.

Nach der Rückkehr in seine Geburtsstadt Quedlinburg beginnt für Steuerwaldt die schaffensreichste und sicher auch glücklichste Zeit seines Lebens. Er macht sich als Künstler selbstständig. Natürlich weiß er, dass es ein finanzielles Wagnis bedeutet. Er geht das Risiko ein, denn er kennt die Preise, die sein Lehrer Hasenpflug erzielt. Manche Bilder gehen für 1000 Taler über den Tisch. Es ist ein Preis, den Steuerwaldt mit seinen Arbeiten zu Lebzeiten nicht erreichen wird. Von dem Geld, das Hasenpflug für ein Bild bekommt, lässt es sich gut leben. Eine fünfköpfige Familie benötigt um das Jahr 1850 gerade 3,5 Taler pro Woche.

Steuerwaldt hält Quedlinburg und das Umland in seinen Bildern fest. Beeindruckende Motive gibt es hier genug. Es ist eine Liebeserklärung an seine wunderschöne Geburtsstadt und die faszinierende Harzlandschaft. Er malt Stadtansichten von Quedlinburg, die Krypta und die Kunstschätze im Zittergewölbe der Stiftsskirche St. Servatius sowie die Kirche St. Wiperti. Auf seinen Wanderungen durch den Harz verewigt er das Bodetal und die Roßtrappe.

Steuerwaldt ist ein Spätromantiker. Seine Arbeiten sind ein Paradebeispiel für die romantische Stilrichtung. Das Gefühl rückt in den Mittelpunkt. Leidenschaft und individuelles Erleben werden zum Antrieb des menschlichen Handelns. Es gibt keine besseren Projektionsflächen für die Geisteshaltung der Romantiker als die nebelverhangenen Wälder und Berge, die mystischen Kloster- und Burgruinen, die bis heute überall in Deutschland zu sehen sind. Die Natur, die über Jahrhunderte den Menschen Angst eingeflößt hatte, wird nun zum Ort der Besinnung. Praktischerweise liegen die Bildmotive direkt vor der Haustür. Es sind keine langen Reisen nötig. Casper David Friedrich leutete Jahrzehnte zuvor die romantische Wende in der Malkunst ein. Bilder wie »Wanderer über dem Nebelmeer« und »Felspartie im Harz« hängen bis heute in deutschen Wohnstuben.

Als großer Freund von Kloster- und Burgruinen ist Steuerwaldt ein mustergültiger Romantiker. Er malt sie immer und immer wieder. Er malt die Burgruine Arnstein in der Nähe von Aschersleben und die Burg Falkenstein in der Nähe von Quedlinburg. Seine Bilder kommen an beim Publikum. Er bestückt Ausstellungen in Berlin, Bremen und Braunschweig. Auch in Leipzig, Magdeburg und Halle werden seine Arbeiten gezeigt.

Kreativer Urknall: Gemälde mit dem Motiv der Klosterruine Heisterbach

Wilhelm Steuerwaldt Klosterruine Heisterbach

Gemälde mit dem Motiv der Klosterruine Heisterbach von Wilhelm Steuerwaldt,
Mit freundlicher Genehmigung des Kulturhistorischen Museums Magdeburg.

Im Jahr 1842 kommt es zum kreativen Urknall: Steuerwaldt erschafft das Gemälde mit dem Motiv der Klosterruine Heisterbach. Damit trifft er genau ins Schwarze. Die Ruine im Siebengebirge ist den Menschen noch in Erinnerung. Die Nachricht vom geplanten Abriss hatte Jahre zuvor Proteste in der Bevölkerung verursacht. Auf dem Gemälde ist der Blick durch den Torbogen einer gotischen Vorhalle auf die winterliche Ruine zu sehen. Es ist Melancholie pur. Und es ist ein Meisterwerk. Das sieht auch das Publikum. Von den Kopien dieses und ähnlicher Motive, die sie im Auftrag von zahlungskräftigen Kunden anfertigen, können Steuerwaldt und Hasenpflug ungefähr 25 Jahre sehr gut leben. Die Bilder der Klosterruine Heisterbach werden sogar nach Schottland, England und die USA verkauft.

Dass Steuerwaldt der Erschaffer des Motivs ist und nicht Hasenpflug, wie lange angenommen, gehört zur zweiten interessanten These des Buchautors Heiko Günther: »Wie schon beim Vorhalle-Ruine-Motiv ist auch bei der Ruine Heisterbach kein Bild von Hasenpflug bekannt, das er zeitlich vor Steuerwaldt angefertigt hätte.« Wurde aus heutiger Perspektive Steuerwaldt zweimal um seinen wohlverdienten Ruhm gebracht?

Was wir wissen ist, dass Steuerwaldt vor und nach seinem Tod im Schatten seines Lehrers Hasenpflug steht. Er hat sein Schicksal an seinen Meister gekettet. Die Situation erinnert an Goethes Faust. Steuerwaldt kennt das Drama gut. Ein Motiv daraus malte er in früheren Jahren.

Schicksalsschläge in Steuerwaldts Leben: Es ziehen dunkle Wolken am Himmel auf

Zunächst scheint alles in Ordnung. Das Leben ist schön für Wilhelm Steuerwaldt. Er wohnt im Klopstockhaus, das er zusammen mit seinem Vater im Jahr 1839 gekauft hat. Bald findet er auch sein persönliches Glück. Im Jahr 1851 heiratet er Sophie Luise Ernestine Ullrich, Tochter eines Finanzverwalters am Ballenstedter Schloss. Es ist eine Liebesheirat, die von der Geburt eines Sohnes im Jahr 1857 gekrönt wird.

Dann ziehen dunkle Wolken am Himmel auf. Seine Frau stirbt an den Folgen der Geburt. Nach dem frühen Verlust der Mutter ist das der zweite Schicksalsschlag für Steuerwaldt. Er heiratet bereits sieben Monate später. Er möchte, dass sein Sohn mit einer Mutter aufwächst. Sie ist die Tochter des Lehrers Christian Friedrich Röhl, der Nachbar der Familie Steuerwaldt. Den Umständen zu urteilen ist es im Unterschied zur ersten Ehe eine Vernunftheirat aus Sorge um das Wohl des Kindes.

Die nächste Hiobsbotschaft ereilt den Maler im Jahr 1858. Sein Lehrer, langjähriger Weggefährte und väterlicher Freund Georg Carl Adolph Hasenpflug ist tot. Die Nachricht muss Steuerwaldt tief getroffen haben. Er hat nicht nur seinen Förderer sondern auch seinen kreativen Bezugspunkt verloren. Viele Jahre profitiert er von der Zusammenarbeit mit Hasenpflug, verknüpft sein Schicksal mit dem des Meisters. Jetzt schlägt das Pendel um.

Karriere als Künstler: Der Anfang vom Ende

Bereits in den vergangenen Jahren stellen Hasenpflug und Steuerwaldt fest, dass sich der Publikumsgeschmack verändert hat. Die Menschen verlangen nach lebendigen Genre- und Historienbildern, auf Kosten von Werken mit Motiven von Burg- und Klosterruinen. Der veränderte Geschmack des Publikums ist ein Echo auf die gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit. Es ist das Vorzeichen für einen sich wandelnden Zeitgeist. Die gescheiterte Märzrevolution des Bürgertums von 1848 begrub die Hoffnungen auf Demokratie, Unabhängigkeit und nationale Einheit. Preußen hatte gesiegt. Die Ausrufung des Deutschen Kaiserreiches 1871 und das wilhelminisch geprägte Deutschland sollten ein knappes Jahrzehnt nach dem Tod von Hasenpflug die Mentalität im Land verändern. Der Steuerwaldt-Experte Heiko Günther erklärt es so: »Mit einem Genrebild, das eine Alltagszene aus dem Leben der Menschen erzählte, oder einem heroisch gemalten Portrait eines preußischen Feldherren konnte sich das Publikum besser identifizieren. Die romantischen Motive von nebelverhangenen Wäldern und mystischen Ruinen passten nicht mehr in die Zeit.«

Für Steuerwaldt kommt erschwerend hinzu, dass der Tod von Hasenpflug einen weiteren Dämpfer bei der Nachfrage zur Folge hat.

Als ob das alles nicht genug wäre, ereilt Steuerwaldt ein weiterer Schicksalsschlag. Im Jahr 1863 versterben seine Eltern kurz nacheinander. Sie sind für ihn zeitlebens ein wichtiger familiärer Rückhalt und das finanzielle Fundament seiner Existens. Seiner Eltern beraubt, fängt für Steuerwaldt der Überlebenskampf richtig an.

Wilhelm Steuerwaldt Brief

Handgeschriebener Brief von Wilhelm Steuerwaldt. Im Besitz von Heiko Günther.

Wie angespannt seine finanzielle Situation ist, lässt sich aus einem Brief an einen unbekannten Kunstliebhaber ablesen , der auf den 29. Juni 1859 datiert ist:

»Hochverehrter Freund!

Da wären denn abermahls zwei Jahre wie im Fluge hingesaust, und Ihr ergebener Steuerwaldt tritt Ihnen
wie gewöhnlich mit einer Architectur im Winter vor die Augen: Motiv das Refectorium im alten Kloster
Ilsenburg Preis 8 Friedrichs d or wenns nicht anders ist, auch 40 Thaler Courant, denn ich kann Geld gebrauchen, vor drei Wochen ist ein kleiner Sohn bei meiner Frau angekommen. Mutter und Kind sind Gott sei gedankt munter und wohl […] «

In dem Brief, der sich im Original im Besitz von Heiko Günther befindet, ist von einem Sohn die Rede. Steuerwaldt meint damit sein Kind aus zweiter Ehe, dessen Geburt allerdings nicht in den Quedlinburger Kirchenregistern verzeichnet ist.

Steuerwaldt muss sein Wohnhaus verkaufen

Die Zeichen stehen schlecht. Im Kampf um seine Existenz muss der Familienvater Steuerwaldt eine Niederlage einstecken. Im Jahr 1867 sind seine finanziellen Nöte so groß, dass er sein langjähriges Wohnhaus verkaufen muss. Das heute als Klopstockhaus bekannte Gebäude erinnert ihn an bessere Tage, an seine Eltern und an seine erste Ehefrau. Es muss ihn geschmerzt haben, sich von diesem Stück Lebenserinnerung zu trennen.

Er zieht mit seiner Familie zur Untermiete in das Haus mit der Adresse »Kunst 169«. Das Haus wird knapp 100 Jahre später das Hotel Domschatz beherbergen.

Steuerwaldt muss am Ende Zeichenunterricht am Königlichen Gymnasium geben, das er selbst aus Geldmangel nicht besuchen konnte. Seine Schüler begnügen sich mit dem Reproduzieren von Arbeiten ihres Lehrers. Der Steuerwaldt-Experte Heiko Günther meint dazu: »Um bequemer arbeiten zu können, stecken sie die Vorlagen mit Nadeln ab. Sie beschädigen Steuerwaldts Werke. Der Maler nimmt es hin.«

Günther sagt weiter: »Für drei Monate Zeichenunterricht erhält Steuerwaldt nur einen Taler. Ein Witz im Vergleich zum Verdienst von Steuerwaldts Lehrer Hasenpflug. Dessen letzte Ruinenkompositionen erzielten um die 1000 Taler. Und Hasenpflug benötigte dafür weniger als drei Monate.«

Steuerwaldt stirbt am 7. Dezember 1871. Kurz vor seinem Tod beginnt er ein Bild, das eine Winterlandschaft mit Schloss zeigt. Es ist ein Möch zu sehen, der aus einem Gewölbe kommend in Richtung Friedhof zu gehen scheint. Hat Steuerwaldt sich selbst verewigt, in Vorahnung seines Lebensendes? Bereits nach dem Tod seines Lehrers Hasenpflug zeichnete Steuerwaldt ein ähnliches Werk. Es zeigt zwei Mönche, die eine winterliche Klosterhalle betreten.

Das Vermächtnis des Wilhelm Steuerwaldt

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Wilhelm Steuerwaldt: Ein Sommermorgen

Was von Wilhelm Steuerwaldt bleibt, ist die Erkenntnis, dass er während seines Lebens und darüber hinaus im Schatten seines fast übermächtigen Lehrers Hasenpflug stand. Der Steuerwaldt-Experte Heiko Günther ist überzeugt, dass dem Maler damit Unrecht getan wird: »Wir müssen davon ausgehen, dass die ersten Werke mit dem Vorhalle-Ruine-Motiv und der Klosterruine Heisterbach von Steuerwaldt stammen und nicht von Hasenpflug, wie lange angenommen.«

Steuerwaldts Werk hat darüber hinaus eine größere Bandbreite als viele glauben. Davon zeugt die impressionistisch gehaltene Arbeit »Ein Sommermorgen«. Es ist eines seiner liebenswürdigsten Bilder. Es zeigt einen Reiter mit seinem Hund im Vordergund und eine Stadt mit einem darüber gespannten blauen Himmel im Hintergrund. Auch Genrebilder gehören zu Steuerwaldts Arbeiten. So zeichnet er mit der »Roßtrappe« die Szene einer kleinen Ausflugsgesellschaft auf der Felsenterrasse des Hexentanzplatzes sitzend.

Dank Steuerwaldt können wir heute auf eine Fülle von Werken mit regionalen Motiven zurückgreifen, die eine Liebeserklärung an seine Geburtsstadt Quedlinburg und das Harzer Land sind. Umso unverständlicher ist es, dass sein Quedlinburger Grab eingeebnet wurde. Es wird Zeit, dass wir posthum »Danke« sagen: Wilhelm Steuerwaldt sollte einen Platz in den Geschichtsbüchern bekommen, der seinem Werk angemessen ist.

Quelle:

Der Text basiert auf einem Interview mit Heiko Günther und seinem Buch aus dem Jahr 2011:

Wilhelm Steuerwaldt – Auf den Spuren eines romantischen Harzmalers.
Es ist erschienen im Re Di Roma-Verlag und ist im Buchhandel erhältlich.

Wir möchten uns auf diesem Weg für die sehr angenehme Zusammenarbeit bei Herrn Günther bedanken.